Piratenopern und Opernpiraten
Schon vor der Premiere der Pirates of
Penzance kämpfen Gilbert & Sullivan gegen freibeuterische
Aufführungspraxis - und gegen die eigene Vergesslichkeit
Mit HMS Pinafore feierten Gilbert und Sullivan 1878
ihren bis dato größten Erfolg. Nach einem verhaltenen
Start wurde die Oper ein Renner, und bald war sie nicht
mehr nur in London, wo sie in 571 Aufführungen gespielt
wurde, sondern auch transatlantisch in New York an größeren
Bühnen zu sehen. Einen Künstler sollte es freuen
und ehren, wenn die eigenen Werke solch eine rasante Verbreitung
finden. Nicht so Gilbert und Sullivan, denn - sie wussten
nichts davon. Überrascht von der eigenen Popularität
in Ländern, in denen sie bis dahin kaum waren geschweige
denn arbeiteten, beschlossen sie, bei ihrer fünften
Oper anders vorzugehen.
Piraten waren damals - wie ja auch heute wieder - beliebt
und berüchtigt. Die Räuber der Meere waren ein
Mythos und gern verwendeter Stoff für die Bühne.
Natürlich verarbeitet Gilbert als Satiriker seine Figuren
nicht im klassischen Sinne. Das raue, brutale und der Piratenehre
unterworfene Image wird zynisch unterwandert. Die Protagonisten
sind zwar unglaublich stolz auf ihr Metier, aber eigentlich
viel zu gutherzig, um erfolgreich sein zu können. Ebenso
die Diener des Staates, die als Polizisten oder Vertreter
des Militärs eigentlich viel zu feige sind, um Recht
und Ordnung durchsetzen zu können. Und je tiefer man
in die Oper eintaucht, desto deutlicher wird, dass es eigentlich
um viel mehr als eine Story im Piratenmilieu geht. Gilbert
und Sullivan deuten es in ihren - heute oftmals viel zu
wenig beachteten - Untertiteln fast immer an: es ist eine
bissige Satire auf gesellschaftliche Zustände. Der
Sklave der Pflicht - der Untertitel der Oper, weist
auf blinden Gehorsam und unbedachte Pflichterfüllung.
Dass diesem hier zum ehernen Gesetz erstarrten Grundsatz
die Piraten als die eigentlich unehrenhaftesten Verbrecher
ebenso unterworfen sind wie die Diener ihrer Majestät,
ist nur ein Baustein im absurden Puzzle der Oper.
Doch wieder zurück ins Jahr 1879. Die entblößende
Ironie Gilberts fiel gerade im Land des schwarzen Humors
auf fruchtbaren Boden. Und wie sagte schon Swift: "Laster
zu entlarven und die Leute zum Lachen zu bringen nutzen
dem Staat mehr als alle Minister von Adam bis Walpole."
Ob die Piraten ebenso ein Erfolg werden sollten wie ihr
Vorgänger, wusste man sicher nicht. Aber zum ersten
Mal sollten für die Piraten Anstrengungen unternommen
werden, die Urheberrechte nicht nur in England, sondern
auch in Amerika und anderen Ländern zu sichern. "Ich
bedaure, dass meine Musik nicht so aufgeführt wird,
wie ich sie geschrieben habe. Orchesterfarben spielen in
meinem Werk eine so große Rolle, dass es seinen Reiz
verliert, wenn sie ihm genommen werden." schreibt Sullivan
in einem Brief. Auch Gilbert, der bei den Opern immer selbst
Regie führte und als penibler und autoritärer
Perfektionist galt, dürfte daran interessiert gewesen
sein.
Also machen sich die beiden Autoren auf, in New York die
Produktionen unter ihre Fittiche zu nehmen. Die Reise dauerte
lange und Sullivans Nierenleiden erlaubte es ihm nicht,
vor November aufzubrechen. Ende Dezember war die erste Aufführung
geplant. Etwa gleichzeitig zur New Yorker Aufführung
sollte in Paignton, England, die Uraufführung stattfinden,
ebenfalls zur Sicherung der Rechte. Sullivan hatte in weiser
Voraussicht in London zu komponieren begonnen, aber - was
soll man sagen - die Noten schlicht liegen gelassen. Der
30.12.1879 rückte näher und Sullivan komponierte
unter Hochdruck. Fertige Nummern wurden sofort nach England
geschickt, um die dortigen Proben zu ermöglichen.
Die Voraufführung in Paignton wurde ein kleines Provisorium
- aber das wichtigste war getan: die Rechte waren gesichert.
Und die Erfolge in New York und im April des folgenden Jahres,
als die noch mal etwas bearbeitete und mit dem letzten Schliff
versehene Oper in London Premiere hatte, ließen nicht
lange auf sich warten. Die New York Sun rezensierte: "Its
success with the audience was instantaneous... the performance
was constantly stopped by the laughter and applause that
attended the humorous parts. As for the comparison with
that infernal nonsense, Pinafore... it can fairly
be made." - "Das Publikum war sofort begeistert
... die Aufführung wurde ständig durch das Gelächter
und den Applaus an den humorvollen Stellen unterbrochen.
Und der Vergleich mit [...] Pinafore kann zweifelsohne
gemacht werden".
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